Storytelling: Kevin und David zeigen dir, wie du bessere Geschichten erzählst.

Geschichten sind das Thema der Stunde in der Unternehmenskommunikation. Bloss: Was braucht es für Geschichten? Wie sind sie aufgebaut? Eine kurze Anleitung für bessere Geschichten.

Bild: Thomas Mauch
Bild: Thomas Mauch

Marketingexperten sind sich einig: Storytelling und passende Formate sind das Thema der Stunde. Marken müssen über Geschichten emotionalisiert werden. Das ist der Konsens, mit dem ich mich durch jeden Apèro-Smalltalk mit Werbern oder Chief Marketing Officers durchschlängeln kann.

Bloss eine Frage wird meistens nicht angesprochen: Was genau macht denn eine Story aus? Hollywood weiss das – Geschichten erzählen dient dort dem Broterwerb. Das wird wohl der Grund sein, weshalb Leute wie Kevin Spacey auf einmal als Marketingexperten auftauchen. Hier erklärt er, was seiner Meinung nach eine Story ausmacht: der Konflikt.

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Ein Held und sein Hindernis

Einen Konflikt haben wir, wenn Interessen, Wertvortstellungen oder Zielsetzungen unvereinbar sind oder unvereinbar erscheinen: Gruppen, Staaten, Organisationen oder Menschen streiten um etwas. Darüber zu berichten ergibt erstmal das: einen Bericht – noch keine Geschichte. Für die Geschichte müssen wir uns für eine Seite entscheiden können, wir müssen Partei nehmen: Wir brauchen einen Helden. Einen Helden, der ein fast schon übermenschliches Hindernis zu überwinden hat. Die Formel für einen Konflikt sieht dann so aus:
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Held + zu überwindendes Hindernis = Konflikt

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Mein Held, der Busfahrer

Im vergangenen Juli hat David Schildknecht diesen Tweet gepostet. Fast ein Jahr später begeistert mich immer noch, wie elegant David die Geschichte mit 140 Zeichen und einem Bild erzählt.

(Quelle: David Schildknecht)
(Quelle: David Schildknecht)

Ein Alltagsereignis, ein Satz und ein Foto aus dem Smartphone: Wir haben eine Geschichte. Der Tweet zeigt zuerst, dass das Gegenüber unseres Helden, das zu überwindende Hindernis, nicht eine Person oder eine Gruppe von Personen sein muss: Häufig hält die Natur als Bösewicht her oder wie hier eine technische Vorrichtung.

Die Struktur einer Geschichte

Ausserdem können wir an dem Tweet die Struktur einer Geschichte ablesen. Unter Drehbuchschreibern, Wissenschaftlern und Literaten wird heftig gestritten, welches Modell denn nun das passende sei, ob drei Akte oder eben nicht. Für unsere Zwecke reichen zwei Strukturelemente:

  1. Die Handlung, die das Problem oder den Konflikt geschaffen hat, und
  2. die Handlung, die zu der Lösung des Konflikts führen soll.

David hält sich in seinem Tweet an diese Struktur. «Und einmal mehr springt der Stromabnehmer aus der Oberleitung»: Wir haben ein Problem. Der Busfahrer erhält von David die Rolle des Protagonisten. Er hat den Job, das Problem zu lösen, und Davids einführendes «Und einmal mehr» lässt mich sofort an Sisyphos aus Korinth denken. Der Arme.

Unser Protagonist aber ist ein tugendhafter Held, der – wie Figura zeigt – alles tut, um den Konflikt zu lösen. Wir sehen als Zuschauer nicht, ob er es schafft. Das zuversichtliche «Aber der Chauffeur ist schnell» macht aber klar, dass das Problem gelöst wurde. Wir sehen die Lösung nicht, verlassen uns dafür auf den Erzähler. Ein sehr eleganter Ausstieg aus der Geschichte.

Innere Konflikte oder Antagonisten aufbauen

In Davids Geschichte haben wir es mit einem äusseren Konflikt zu tun: Der Protagonist hat einen Gegenspieler, den Antagonisten. Der widersetzt sich dem Protagonisten und legt ihm Steine in den Weg: in unserem Fall der Stromabnehmer. Der Antagonist muss nicht unbedingt eine Person oder ein Gegenstand sein. In Abenteuerromanen ist es häufig die Natur (etwa in «Der alte Mann und das Meer»), es kann aber auch ein abstraktes Prinzip sein: etwa die Armut oder Ungerechtigkeit. Das heisst, der Antagonist handelt nicht immer – seine Existenz stellt vielfach schon das Hindernis dar.

Die zweite Variante ist der innere Konflikt. Der Held, die Heldin kämpft mit sich selber, muss zwischen zwei Entscheidungen wählen. Die Literatur ist voll davon, «Bridget Jones’s Diary» können wir als neuzeitliches Beispiel hinzuziehen. Wichtig ist wie auch beim äusseren Konflikt: Der Protagonist erfährt im Laufe des Stücks eine Wandlung. Er ändert sein Verhalten, wächst über sich hinaus und wächst an dem Konflikt ganz allgemein.

«Eat that frog»

keep-calm-and-eat-that-frog-3-150x150Das Prinzip des inneren Konflikts liest sich im Kontext zielorientierter Kommunikation zuerst etwas esoterisch – tatsächlich ist er aber weit verbreitet. Eine Anwendung ist der Bereich der Selbsthilfe-Literatur. «So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund» oder «30 Minuten Willenskraft» sind Vertreter dieser Gattung, «Eat that frog» ist die äusserst gelungene angelsächsische Metapher dazu.

Auch den äusseren Konflikt setzen Autoren von Managementbüchern gewinnbringend ein. Ein wunderschöner Titel dazu: «Heiss auf Kaltakquise in 45 Minuten: Wie Sie das Vorzimmer erobern und den Entscheider gewinnen». Man lernt, das Hindernis der ahnungslosen, aber bösen Sekretärin zu überwinden und an sein Ziel zu gelangen: Zu dem Entscheider, dieser mythische Person aus unzähligen Marketing- und Kommunikationsplänen (der sich ganz ähnlich wie Sisyphos vorkommen muss, jeden Tag wieder aufs neue als Zielscheibe hinhalten zu müssen.).

Bessere Geschichten in drei Minuten

Was heisst das nun, um auf den Punkt zu kommen, im Kontext von Content Marketing? Wie es sich gehört gibt es dazu eine Checkliste: Perfektionieren Sie Ihr Storytelling in drei einfachen Schritten.

  1. Wir benötigen einen Held. Entweder erzählt man von sich selber, über eine Drittperson oder man setzt den Leser als Protagonisten ein.
  2. Wir brauchen ein Hindernis, das der Held zu überwinden hat. Der Schlüssel hier ist, seine Leser genau zu kennen. Dazu helfen die Customer Journey («Wo steht er gerade?») und der Persona-Ansatz («Was für Aufgaben hat er dort zu lösen?»)
  3. Wir zeichnen den Weg zur Auflösung des Konflikts auf.

Das ist ziemlich einfach. Und die Liste hilft zu prüfen, ob wir es wirklich mit einer Geschichte zu tun haben. Nehmen wir eine Medienmitteilung, etwa die Nachricht, dass ein Telekommunikationsunternehmen einen Infrastruktur-Neubau eingeweiht hat, der sich mit einer Solaranlage auf dem Dach selbst mit Strom versorgt.

Geschichte ja oder nein?

Dank der Checkliste sehen wir, dass a) der Held fehlt und b) kein Hindernis zu überwinden ist. Vermutlich stecken diese Dinge hinter der Medienmitteilung, wir müssten sie bloss rausschälen: Etwa die Widrigkeiten, die das Projektteam überwinden musste, um ans Ziel zu gelangen. Vielleicht gibt es sogar eine verantwortliche Bauleiterin, die interne Gremien überzeugen musste, die Anwohner begeisterte und mit einem Bau-Team das ganze Projekt drei Monate schneller und unter Budget realisierte. Das wäre die Geschichte dazu.

Ratgeber-Literatur ist Konfliktliteratur

Der Klassiker im Content Marketing bleibt aber der Bereich der Ratgeber-Artikel. Tipps und Tricks, How-to, Anleitungen und Tutorials sind nichts anderes als Geschichten, die auf dem äusseren Konflikt aufbauen: Wie lerne ich, den Akku meines iPhones zu ersetzen, obwohl Apple das auf keinen Fall will? Das ist, wie das Tutorial von ifixit.com zeigt, ein steiniger Weg. Der Leser wird hier zum Protagonisten, der dieses von Jobs und Cook gestellte Hindernis zu überwinden lernt.

Gratis dazu: Emotionen und Authentizität

Geschichten bestehen also aus Konflikten. Es lohnt sich, nach diesen Konflikten und den Hindernissen dahinter Ausschau zu halten. Denn ohne dass wir etwas tun müssen, versorgen sie unsere Kommunikation mit zwei anderen Eigenschaften, die wir für wünschenswert halten: Sie schaffen als erstes Emotionen. Ein Konflikt und die Parteinahme für einen Protagonisten bringen unsere Gefühle in Wallung und wir sind emotional engagiert. Als zweites schafft es die viel gesuchte Authentizität: Als Autoren entscheiden wir uns für eine Seite und geben damit ein Stück unserer Persönlichkeit wieder. Wir zeigen uns, benennen die Dinge wie sie sind und zeigen die Werte, aufgrund derer wir handeln.

Tugendvolle Helden werden überbewertet

Houseofcards

Einen Nachtrag schulde ich hier, wenn ich schon mit Kevin Spacey eingestiegen bin: Der Protagonist einer Handlung muss natürlich nicht immer der tugendhafte Held sein. Frank Underwood, Kevin Spaceys Rolle als Politiker in House of Cards, ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse. Er lügt, betrügt, ist berechnend, auf den eigenen Vorteil aus und bringt dafür auch mal Menschen um, wenn es sein muss. Eigenhändig, wohlverstanden. Der Antiheld ist kein neues Phänomen in den Dramen und Geschichten dieser Welt, in House of Cards erreicht diese Spielform des Helden aber ungeahnte Höhen.

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tl;dr

Geschichten brauchen Helden und Hindernisse – auch in der Unternehmenskommunikation.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 26. März 2015 auf dem Blog des CAS Online Media and Campaign Managmement der Hochschule Luzern.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Storytelling: Kevin und David zeigen dir, wie du bessere Geschichten erzählst.“

  1. Avatar von Christian Wolf

    Danke für den wertvollen Artikel. So kann man auch gegen „Wir wollen doch keine Märchen erzählen!“ argumentieren 🙂 Nein, ist schon klar und ich finde den Storytelling-Ansatz gerade am Beispiel eines Tweets extrem interessant. Mir schwirren immer wieder solche Stories im Kopf herum – müsste die mal auf Papier bringen, damit sie mal zum Einsatz kommen.

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