Menschen, Kommunikation und Social Media: Offline ist nicht besser als online

Es ist einer der beliebtesten Mythen rund um das Internet: Kommunikation via Web oder soziale Medien ist minderwertiger als diejenige im «richtigen Leben». Die Behauptung ist so weit verbreitet wie falsch.

Bild: Ales Krivec bei stocksnap.io (Lizenz: CC0 1.0 Universal)
Bild: Ales Krivec bei stocksnap.io (Lizenz: CC0 1.0 Universal)

«Ich pflege meine Kontakte lieber im richtigen Leben, als dass ich Zeit auf Online-Plattformen verschwende.» Die Sicherheit, dass mir diese Bemerkung an einem Referat oder in einer Schulung entgegenkommt, ist höher als diejenige des morgigen Sonnenaufgangs. Ein Klassiker, also. Es ist tatsächlich auch eine meiner Lieblingsbemerkungen. Sie gibt mir Gelegenheit, ein weit verbreitetes Missverständnis zu diskutieren. «Offline» wird meist mit «richtig» oder «real» gleichgesetzt, irgendwie besser und überlegen. «Online» dagegen wird als «oberflächlich» bezeichnet oder gar «täuschend» empfunden. «On the internet, nobody knows you’re a dog.» Es wird ein Gegensatzpaar konstruiert, das es meiner Erfahrung nach aber gar nicht gibt.

Ist ein Brief nicht auch ein wenig online?

Zuerst wird der Begriff «online» nie ganz zu Ende gedacht: Einfach alles, was mit diesem Internet zu tun hat, und mir der Kommunikationspartner nicht in Fleisch und Blut gegenüber sitzt. Das sei minderwertig, weil natürlich eine Menge Kontext aus der nonverbalen Kommunikation verloren geht: die Mimik, die Gestik und so weiter. Es wird aber vergessen, dass wir seit Jahrhunderten Kommunikationsmittel verwenden, die kontextärmer sind als die persönliche Begegnung, etwa das Telefon oder den guten alten Brief. Solange wir also die Geburtsanzeige in der Post noch als «richtiges Leben» empfinden, werde ich auch meine Tweets dieser Kategorie zuordnen.

Hybride Kommunikation ist die Norm

Ein zweiter Grund, wieso der Gegensatz «Online vs offline» nicht funktioniert, zeigt das alltägliche Verhalten der User. Sie nutzen Online-Kanäle häufig, um Beziehungen zu pflegen, die offline entstanden sind. Oder Kontakte, die online geknüpft wurden, werden in der physischen Welt weitergeführt. Reine Online-Beziehungen sind nur ein Fall von vielen möglichen. Die Menschen nutzen Online-Plattformen also komplementär, Online-Kommunikation und Offline-Begegnungen schliessen sich nicht gegenseitig aus. Zwischen zwei Begegnungen mit meinem Bruder etwa erfahre ich einiges via Facebook, Fotos aus seinen Ferien oder Projekte, die er beruflich in Angriff nimmt. Dieser Informationsaustausch, so meine Erfahrung, macht unsere Beziehung reichhaltiger und besser: Wenn wir uns das nächste Mal physisch begegnen, beginnt unsere Konversation an einer ganz anderen Stelle.

Online macht offline besser

Dieser vermeintliche Gegensatz «online vs offline» verstellt den Blick auf einen gewichtigen Vorteil elektronischer sozialer Plattformen: Die Möglichkeit, Beziehungen auch «in Abwesenheit» zu pflegen und weiter zu entwickeln. Soziale Medien wie LinkedIn oder Facebook können als Instrumente gesehen werden, die Beziehungspflege zu ergänzen – was die grundlegende Idee von Facebook war, nämlich ehemalige Mitstudierende nicht aus den Augen verlieren.

Ein Mythos aus der Ursuppe des Internets

Dass sich dieser Mythos der «Online vs offline»-Dichotomie so hartnäckig hält, führen Soziologen wie Don Slater auf die Anfangszeit des Internets zurück. Das Bild des «Cyberspace» konstituierte ein Verständnis des Webs als einem von der physischen Welt losgelösten Ort, unabhängig von Raum, Zeit und anderen Körperlichkeiten. Sowohl Internet-Aktivisten wie auch Skeptiker trugen diese Zweiteilung gerne in die Welt hinaus. In der Folge wurde und wird auch heute noch vor allem nach Eigenschaften der neuen Medien gefragt und geforscht: Also was «macht» Facebook mit uns, welche Auswirkungen hat Twitter auf unser Informations- oder Beziehungsverhalten. Die wichtigen Fragen wären aber andere: Nämlich wie brauchen die User diese Plattformen? Welche Nutzungsgewohnheiten entwickeln sie? Und wie können wir zum Beispiel im beruflichen Kontext Vorteile daraus ziehen?
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tl;dr

Online- und offline-Kommunikation ergänzen sich auch in persönlichen Beziehungen: Die wenigsten Menschen pflegen reine Online-Beziehungen. Vielmehr nutzen sie die Kanäle komplementär.
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