Facebook & Co: The Sceptic’s Guide To Social Media

Sieben beliebte Vorbehalte von Nicht-Nutzern gegenüber Facebook & Co. Oft gehört und wiederholt, aber deshalb noch lange nicht richtig.

Social Media sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bedenken sind aber noch weit verbreitet, was ich für wichtig halte: Wir müssen technologische und gesellschaftliche Innovationen fördern und gleichzeitig kritisch hinterfragen. Vielfach entstehen diese Bedenken aber wegen fehlenden Informationen. Ich habe hier die Vorbehalte aufgeführt, die ich häufig höre, wenn ich Vorträge halte oder Diskussionen führe – vor allem beim Thema Facebook. Dazu einige Infos und meine Meinung obendrauf.

1. Facebook-Freunde sind doch keine richtigen Freunde!
Menschen vernetzen sich auf Facebook in der Regel mit Menschen, die sie irgendwann mal getroffen haben. Das können tatsächlich sehr entfernte Bekannte sein, auf die der Begriff «Freund» aus unserer Alltagssprache nicht zutreffen würde. Nichtsdestotrotz fand der Erstkontakt im «wahren» Leben statt. Nach einigen Jahren nutzen die Menschen Facebook sehr viel differenzierter: Bei mir würde die Bezeichnung «virtuelle Freunde» auf etwa 10% der Kontakte zutreffen. Dass es sich beim Rest zu einem grossen Teil um entfernte Bekannte (oder Verwandte) handelt, ist kein Manko – im Gegenteil. Facebook hilft, diese «schwachen Verbindungen», wie sie Mark Granovetter nannte, aufrecht zu erhalten. Ich schätze es, ab und an etwas über den Schulfreund aus der dritten Klasse zu erfahren.

2. Niemand kann soviel Freunde haben!
Die durchschnittliche Anzahl Freunde eines Facebook-Nutzers liegt bei 130. Berücksichtigt man den Umstand, dass Facebook auch dazu dient, den Kontakt mit den erwähnten entfernten Bekannten aufrechtzuerhalten, ist das keine besonders grosse Zahl. Nach wie vor diskutiert wird, ob diese Zahl nur zufällig mit Dunbar’s number übereinstimmt. Robin Dunbar hat vor über 20 Jahren die Theorie entwickelt, dass die maximale Anzahl sozialer Beziehungen, die eine Einzelperson unterhalten kann, bei 150 bis 250 liegt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Menschen in Facebook und anderen sozialen Netzwerken in erster Linie ein Abbild ihrer «realen» Beziehungen herstellen.

3. Da werden bloss Banalitäten ausgetauscht!
Diesen Vorbehalt hört man sehr häufig, vor allem von Nichtnutzern. Der nächste Satz ist dann: «Wen interessiert es schon, was ich zum Frühstück gegessen habe.» Ich sehe wenig Gipfeli in meinem Feed, aber das ist natürlich nur meine Wahrnehmung. Ich glaube, viel wichtiger ist: Die Leute schreiben auf Facebook Dinge, die die ganze Welt lesen kann. Aber das bedeutet nicht, dass sie für die ganze Welt gedacht waren. Einen kleinen Teil der Facebook-Kontakte des Absenders mag das interessieren – für die Oma ist es wichtig zu erfahren, was der Kleine für Brei mag. Alle anderen dürfen es gerne überlesen. Nur weil es für einen nicht interessant ist, ist es nicht banal.

4. Kinderzeugs!
Dieser Vorbehalt wird in den letzten Monaten nur noch wenig erwähnt, er steht aber häufig unausgesprochen im Raum. Deshalb nur eine Zahl: Das Durchschnittsalter des Facebook-Nutzers liegt bei 38 Jahren.

5. Ich hätte gar keine Zeit dafür!
Viele Nichtnutzer wundern sich, woher die Leute die Zeit nehmen, um all die Dinge in Facebook reinzuschreiben. Wieviel Zeit wird denn auf Facebook verbracht? Im Dezember 2010 hat der durchschnittliche US-amerikanischen Nutzer 320 Minuten auf Facebook verbracht, rund 5,5 Stunden pro Monat. Das kann man für sehr viel halten, ich vergleiche es mal mit dem Fernsehkonsum: Gemäss der ZEIT verbringen die Menschen in Deutschland 220 Minuten pro Tag vor dem Fernseher. Rund 3,5 Stunden. Das sind etwa 100 Stunden pro Monat. Ich will nicht schnoddrig wirken, aber ich denke: Wenn wir diese Zahl runtergebracht haben, können wir über die vernünftige Nutzungsdauer von Facebook diskutieren.

6. Da werden viele Lügen verbreitet!
Diese Behauptung stimmt mich immer nostalgisch; sie erinnert mich an die Chats und die ersten Wellen der Empörung darüber Mitte der 1990er Jahre. Stellen sich die Leute in sozialen Netzwerken besser dar als sie in Wirklichkeit sind? Dieses «Argument» kommt häufig von Leuten, die nicht wissen, dass Facebook-Nutzer ihren richtigen Namen angeben – einfach, weil die Verwendung eines sozialen Netzwerkes unter einem Pseudonym sinnlos ist. Die Menschen nutzen Facebook nicht, um sich eine neue, völlig andere virtuelle Identität aufzubauen. Und ihre Gegenüber auf Facebook haben auch nach wie vor ein feines Gespür dafür, wenn Dinge übertrieben werden oder aufgesetzt wirken. Es gibt noch wenig Untermauertes zu dem Thema, erste (kleinere) Studien konnten zumindest keine Tendenz zur überhöhten Selbstdarstellung feststellen.

7. Das ist reiner Exhibitionismus!
Ja, es gab und gibt Fälle, in denen die Menschen nicht sehr intelligent mit dieser Öffentlichkeit umgingen. Postings, in denen sie über ihren Chef hergezogen haben, der alles mitlesen konnte. Beziehungskämpfe, die über Facebook ausgetragen wurden. Was man nicht vergessen darf: Wir lernen gerade, diese Instrumente zu nutzen, und dabei passieren Fehler. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen immer kompetenter und sicherer damit umgehen. Das heisst nicht, dass wir etwa in Sachen Medienkompetenz von Jugendlichen nichts mehr tun müssen – im Gegenteil. Nur weil sie mit dem Handy aufgewachsen sind, sind Teenager heute nicht Experten im Umgang mit Informationen, Öffentlichkeit und Privatsphäre: Digital Natives gibt es nicht.

Am Beckenrand lernt man nicht schwimmen.
Tiefes Wasser ist gefährlich, wenn man nicht schwimmen kann. Deshalb haben die meisten von uns Schwimmen gelernt. Allerdings nicht, indem wir am Beckenrand standen und zugeschaut haben. Und uns von anderen Nichtschwimmern erklären liessen, wie es funktioniert. Im Umgang mit neuen Medien müssen wir alle lernen und neue Kompetenzen entwickeln, um davon zu profitieren. Dazu müssen wir ins Wasser steigen.


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