Bin ich jetzt Spotify-süchtig?

Neue Technologien rütteln meist am Verständnis der eigenen kleinen Welt und verlangen nach einer dauerhaften Veränderung von Verhalten und Einstellungen. Häufig gehöre ich deshalb zu den «Late Adopters» – und entwickle dann ebenso häufig eine ausgeprägte Begeisterung. Mit Spotify bzw. Musik-Streaming-Diensten im allgemeinen tat ich mich lange Zeit schwer. Zwei Dinge stiessen mir dabei immer wieder auf. Erstens mag ich es, Musikstücke «zu besitzen» und zweitens hänge ich nach wie vor an dem Konzept des Albums.

Ein Album ist für mich das zusammenhängende Werk und stellt in seiner Gesamtheit ein Statement dar – etwa das Ergebnis einer bestimmten Schaffensperiode oder die Realisierung eines bestimmten Konzepts, einer Idee. Vermutlich handelt es sich dabei noch um prägende Erinnerungen an die Konzeptalben der 70er und 80er Jahre. Playlists, das dominierende Konzept der Musikorganisation bei Spotify, erinnern mich hingegen an die Kassetten, die ich als Teenie für mich oder für Freunde zusammengestellt habe: Eine sorgsam und mit viel Zeitaufwand zusammengestellte Auswahl, die in der Gänze wiederum eine Absicht verfolgten. Einfach irgendwelche Playlists zu hören scheint mir frevelhaft zu sein.

Auch das «Musik besitzen» hat mit meiner Sozialisierung zu tun. Der Erwerb einer Schallplatte war mit 14 Jahren eine Investition. Es war auch eine Selektion. Auf eine gekaufte Platte kamen mindestens drei andere, die im Laden bleiben mussten. Entsprechend aufwändig gestaltete sich die Kaufentscheidung und gross war der Stolz als neuer Besitzer. Aufgeregt habe ich die Platte nach Hause getragen und mich ihr mindestens zwei Stunden gewidmet. Mit der Möglichkeit, im iTunes Store Downloads zu kaufen, habe ich vor einigen Jahren recht schnell angefreundet – schliesslich gehörten die Files anschliessend mir, wenn auch mit lästigen DRM-Einschränkungen. Aber Streaming ist da schon was anderes: Ich bezahle mit einem Premium-Account für den Zugang, für das Recht, die Musik zu hören. Und wie wir aus kürzlichen Kindle- und Amazon-Stories wissen, ist das nicht immer ganz unproblematisch.

Aber eben: Die Zeit bleibt nicht stehen und ich habe mich deshalb vor einigen Wochen entschlossen, dieses Spotify wieder mal auszuprobieren. Bereits nach einem Tag wechselte ich zur Premium-Variante, vor allem dank der bescheuerten, schweizerdeutsch vertonten Werbung. Die Playlists habe ich einfach für mich zu «Alben» gemacht. Und was bringt es jetzt? Am riesigsten finde ich den Vorteil, neue Musik zu entdecken. Ein bisher unbekanntes Album des Lieblingskünstlers, eine Neuerscheinung einer jungen Band – einfach anhören, und zwar soviele wie ich will. Wie gesagt, wer mit der oben beschriebenen Verknappungssituation aufgewachsen ist, wähnt sich im Schlaraffenland. Sehr hilfreich finde ich dabei die Apps, insbesondere wenn es um Rezensionen geht. Die Apps von Pitchfork, Rolling Stone oder NME in Spotify integrieren, CD-Kritiken lesen und dann sofort anhören. Das ist schon ziemlich «Wow». Der Stream im Premium Account wird bei Spotify mit 320kb ausgeliefert, Soundqualität ist also kein Problem.

Fast unbegrenzte Möglichkeiten, Musik zu entdecken und Instant Gratification – kein Wunder, dass mich Spotify nach wenigen Tagen überzeugt hat. Einige Fragen bleiben aber: Offenbar sind die Einnahmen von Spotify für einen Künstler sehr gering – auch die erfolgreichsten scheinen sehr wenig damit zu verdienen. Kann das Geschäftsmodell also langfristig funktionieren? Und als zweites: Werde ich auch weiterhin Musik kaufen, wenn mir ein Künstler besonders gefällt? Oder verlasse ich mich auf die ständige Verfügbarkeit der Songs in Streaming-Diensten? Keine Ahnung. Wenn ich allerdings beobachte, dass vermehrt Musiklabels zu Besitzern von Streaming-Diensten werden, stehen die beiden Fragen wohl in engem Zusammenhang: Vielleicht Streaming-Dienste als «Content Marketing-Kanal» für die Labels aufgebaut. Und sie zählen darauf, dass ich irgendwann noch kaufe, was mir gefällt.

Bild: Stefan Dotti bei flickr.com


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Kommentare

Eine Antwort zu „Bin ich jetzt Spotify-süchtig?“

  1. Avatar von Martin Steiger

    «Offenbar sind die Einnahmen von Spotify für einen Künstler sehr gering – auch die erfolgreichsten scheinen sehr wenig damit zu verdienen. Kann das Geschäftsmodell also langfristig funktionieren?»

    Ja: Das Geschäftsmodell von Spotify und vergleichbaren Diensten ist direkt mit dem Geschäftsmodell «Radio» vergleichbar – und dieses Geschäftsmodell funktioniert seit Jahrzehnten.

    Bei diesem Vergleich zeigt sich auch, dass die Einnahmen aus Spotify für Musiker nicht ungewöhnlich gering sind: Einerseits hat eines von beinahe unendlich vielen Musikstücken einmal für einen Zuhörer abgespielt schlicht nur einen sehr geringen Wert, andererseits erzielen angesichts der ebenfalls beinahe unendlich grossen Zahl von Musikern nur wenige Musiker ein hohes Einkommen. Letzteres ist übrigens nicht erst seit Spotify so …

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